Hochschule Düsseldorf
University of Applied Sciences
Fachbereich Sozial- & Kulturwissenschaften
Faculty of Social Sciences and Cultural Studies

Selbstbestimmung und Teilhabe im Alter

28.11.2019, Hochschule Düsseldorf  

Am 28. November 2019 fand an der Hochschule Düsseldorf eine Fachtagung mit dem Titel „Selbstbestimmung und Teilhabe im Alter“ statt. Diese Seite enthält die Dokumentation der Fachtags inkl. der Präsentationen und Berichte aus parallelen Panels. 


 

Impulsvorträge

Impulsvortrag 1 „Selbstbestimmung und Teilhabe im Recht – Wohin führt der Weg?"

Prof. Dr. Matthias Meißner (HSD) 

Im Vortrag Selbstbestimmung und Teilhabe im Recht – Wohin führt der Weg? ging Prof. Dr. Matthias Meißner auf die Bedeutung der Begriffe Selbstbestimmung und Teilhabe im Recht ein. Als Kern des Selbstbestimmungsrechts arbeitete er das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde heraus (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes). Er folgerte, dass das Selbstbestimmungsrecht als weit zu verstehendes Freiheitsrecht für sich und in Verbindung mit weiteren Grundrechten eine große Wirkung entfaltet. Als Beispiele für die fortschreitende Verwirklichung von Selbstbestimmung im Recht führte er das Bundesteilhabegesetz, das Rentenrecht („Flexi-Rente“), die gesetzlichen Regelungen zur Patientenverfügung sowie das Betreuungsrecht auf.

Der Vortragende zeigte als Ausgangspunkt des Begriffs Teilhabe das Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung auf (Art. 3 Abs. 3 S. 2 des Grundgesetzes). Er führte aus, dass das Recht auf Teilhabe in der Vergangenheit im Wesentlichen als Element des Förderauftrags des Staates zur Umsetzung des Benachteiligungsverbots wegen einer Behinderung verstanden wurde. Sodann stellte er fest, dass sich das heutige Verständnis des Begriffs Teilhabe im Recht gewandelt hat und weitere vulnerable Gruppen erfasst. Als Beispiel nannte er die in den Sozialgesetzbüchern für Kinder aus einkom​​mensschwachen Familien vorgesehenen Leistungen für Bildung und Teilhabe. Im seinem Fazit bekräftigte er die weite und noch zunehmende Bedeutung der Begriffe Selbstbestimmung und Teilhabe im Recht, welche die Rechtsordnung weiter durchdringen.

Präsentation Impulsvortrag 1​​​


 

Impulsvortrag 2 „Selbstbestimmte Teilhabe in Altenpflegeeinrichtungen. Empirische Grundlagen für ein Musterrahmenkonzept"

Prof. Dr. Christian Bleck (HSD), Prof. Dr. Simone Leiber (UDE)

Der zweite Vortrag „Selbstbestimmte Teilhabe in Altenpflegeeinrichtungen. Empirische Grundlagen für ein Musterrahmenkonzept“ widmete sich Fragen der Selbstbestimmung und Teilhabe von alten Menschen mit Pflegebedarf, die in stationären Pflegeeinrichtungen leben. Prof. Dr. Christian Bleck (HSD) und Prof. Dr. Simone Leiber (UDE) stellten hier die theoretischen und empirischen Zugänge sowie ausgewählte Ergebnisse des Projektes „Selbstbestimmt teilhaben in Altenpflegeeinrichtungen – STAP“ vor, in dem u. a. auf Basis von qualitativen Interviews und teilnehmenden Beobachtungen in ausgewählten Institutionen sowie einer NRW-weiten Onlinebefragung Voraussetzungen zur Teilhabeförderung in Altenpflegeeinrichtungen identifiziert und in ein Musterrahmenkonzept übertragen wurden.

Einführend erläuterten sie, dass in STAP einerseits das Verständnis von Teilhabe als Menschenrecht leitend war und andererseits Selbstbestimmung als zentrales Prinzip erachtet wurde, an dem sich die Förderung und Gestaltung von Teilhabe in Altenpflegeeinrichtungen orientieren sollte. Daran anknüpfend wurde als Auswahl aus den empirischen Ergebnissen auf fördernde und hemmende Faktoren zur Äußerung und Erfassung der Teilhabewünsche von Bewohner*innen eingegangen. Dementsprechend wurde von ihnen auch im Fazit hervorgehoben, dass die praktische Verwirklichung des Rechts auf selbstbestimmte Teilhabe in Altenpflegeeinrichtungen entsprechend individueller Wünsche und Voraussetzunge​​n der Bewohner*innen zu erfolgen hat und weniger mit besonderen Förderansätzen als vielmehr mit einer bereichsübergreifenden Kultur und ihrer regulären Verankerung in den Einrichtungsprozessen verbunden ist. Von einer Vielzahl relevanter Faktoren auf Ebene der Bewohner*innen, Mitarbeiter*innen und Einrichtung seien daher in ihrer Bedeutung eine entsprechende Organisationskultur und bereichsübergreifende Zusammenarbeit, spezifische Kompetenzen und Handlun​​​​gsspielräume der Mitarbeitenden ebenso wie zusätzliche Ressourcen – etwa für die Teilhabeförderung außerhalb der Einrichtung – hervorzuheben

Präsentation Impulsvortrag 2


 

Impulsvortrag 3 „Ehrenamt der Zukunft? Förderung der Selbstbestimmung und Teilhabe älterer Menschen im Sozialraum"

Prof. Dr. Anne van Rießen (HSD) 

In ihrem Vortrag „Ehrenamt der Zukunft? Förderung der Selbstbestimmung und Teilhabe älterer Menschen im Sozialraum“ stellte Prof. Dr. Anne van Rießen zu Beginn dar, welches Verständnis sie im Weiteren den Begrifflichkeiten Selbstbestimmung und Teilhabe zu Grunde legte, bevor sie im Weiteren aufzeigte, welche Entwicklungen, Grenzen und Bestimmungen mit dem „Ehrenamt“ verbunden sind. Sie verdeutlichte ihre Ausführungen anhand von zwei kurzen Einblicken in gegenwärtige Forschungsprojekte („Ehrenamt der Zukunft – Förderung der Selbstbestimmung und Teilhabe Älterer im Stadtteil“ sowie „Informelles zivilgesellschaftliches auch im Sozialraum“). In ihrem Fazit stellt sie fest, dass erstens du​​rch bürgerschaftliches Engagement die Selbstbestimmung und Teilhabe älterer Menschen im Sozialraum unterstützt werden kann, zweitens bürgerschaftliches Engagement sowohl einen Nutzen für die Engagierten als aber auch für das Gemeinwohl aufweisen muss und drittens, dass es gilt die Begrenzungen und Barrieren von bürgerschaftlichem Engagement zu fokussieren und sich damit der Frage zu widmen, ob und unter welchen Bedingungen sich Menschen überhaupt für die Gemeinwohlproduktion engagieren können.

Präsentation Impulsvortrag 3


 

Impulsvortrag 4 „Selbstbestimmte Teilhabe älterer Menschen in Zeiten der Digitalisierung"

Prof. Dr. Manuela Weidekamp-Maicher (HSD) 

Der abschließende Vortrag befasst sich mit Fragen der Selbstbestimmung und Teilhabe älterer Menschen in Zeiten der Digitalisierung. Hier geht Prof. Dr. Manuela Weidekamp-Maicher der theoretischen Verortung des Konzeptes selbstbestimmter Teilhabe nach, stellt zwei zentrale Formen der selbstbestimmten Teilhabe (gesellschaftliche und gemeinschaftliche Teilhabe) vor und grenzt sie von gefährdeter Teilhabe und Ausgrenzung ab. Nach dem einleitenden Teil widmet sich die Referentin der Bedeutung selbstbestimmter Teilhabe in Zeiten der Digitalisierung. Nach der Definition zentraler Begriffe wie Digitalisierung, Digitalität und digitale Transformation macht sie deutlich, dass digitale Teilhabe der Schlüssel zur digitalen Gesellschaft sei. Dazu sei die Teilhabe an der Digitalität wichtig (d.h. wenn digitale Technologien dabei helfen, dass ältere Menschen an der digitalen Welt teilhaben und so auch die Möglichkeit haben, das gesellschaftliche Bild Älterer zu beeinflussen) als auch die Partizipation an der Digitalisierung der Teilhabe (d.h. an jenen Beteiligungswegen und –möglichkeiten, die ergänzend zur Repräsentativen Demokratie als Bürgerbeteiligungsformen existieren) wichtig. Nach der anschließenden Erläuterung des Konzeptes der digitalen Souveränität macht die Vortragende deutlich, wie groß der Anteil älterer Menschen sei, der keinen Zugang zur digitalen Teilhabe habe. In ihrem abschließenden Statement zeigt sie, dass der Prozess der digitalen Transformation sowohl Potenziale für die Verbesserung selbstbestimmter Teilhabe beinhalte als auch Risiken berge, die aus der Verschärfung sozialer Ungleichheiten, aus neuen Abhängigkeiten oder aus der Entfremdung sozialer Beziehungen entstehen können. 

Präsentation Impulsvortrag 4


1 „Chancen und Herausforderungen durch das Bundesteilhabegesetz“

Prof. Dr. Matthias Meißner (HSD) & Doro Kuberski (Landesverband für Menschen mit Körperund Mehrfachbehinderung NRW e.V.)

Die vielfältigen Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) auf Menschen mit Behinderung sowie auf deren Leistungserbringer standen im Mittelpunkt des ersten Panels „Chancen und Herausforderungen durch das Bundesteilhabegesetz“.  Eines der zentralen Ziele des BTHG ist es, die Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung zu stärken. Leistungen sollen dementsprechend in Zukunft noch stärker personenzentriert erbracht werden. Doro Kuberski und Prof. Dr. Matthias Meißner gaben einen Überblick über das neue Bedarfsermittlungsinstrument, welches die Beteiligung leistungsberechtigter Personen an allen Verfahrensschritten vorsieht. Zudem ging es um die vielfältigen Leistungen zur Sozialen Teilhabe, zu denen unter anderem Assistenzleistungen, Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten sowie Leistungen zur Mobilität, Hilfsmittel und Besuchshilfen gehören. Letztendlich diskutierten die Teilnehmer*innen die vielfältigen Chancen und Herausforderungen, die aus dem BTHG erwachsen sowie die Faktoren für die Sicherstellung sozialer Teilhabe im Alter.

Präsentation aus dem Panel 1


 

Panel 2 „Wie kann die selbstbestimmte Teilhabe in stationären Altenpflegeeinrichtungen gefördert werden?“

Helene Maqua & Henry Kieschnick (Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V.)

Das zweite Panel mit dem Titel „Wie kann die selbstbestimmte Teilhabe in stationären Altenpflegeeinrichtungen gefördert werden?“ fokussierte auf das Musterrahmenkonzept, das im Rahmen des Projektes „Selbstbestimmt teilhaben in Altenpflegeeinrichtungen – STAP“ auf empirischer Grundlage entwickelt wurde (siehe Vortrag 2). Hier gaben nun Helene Maqua und Henry Kieschnick (Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V.) einen Einblick in das neue Rahmenkonzept und erörterten mit den Teilnehmer*innen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten seiner Implementierung. So wurden nicht nur die Ziele und Hintergründe zur Entwicklung des Musterrahmenkonzeptes sowie Erfahrungen aus dessen Erprobung aus Perspektive des Projektträgers von STAP vorgestellt, sondern auch ganz konkret die Inhalte des Konzeptes anhand ausgewählter Kriterien sowie praktischer Beispiele erläutert und diskutiert. 

Präsentation aus dem Panel 2


 

Panel 3 „Gesellschaftliche Teilhabe durch Ehrenamt. Institutionelle Bedingungen zur Schaffung von verlässlichen wie attraktiven Ehrenamtsstrukturen“

Prof. Dr. Anne van Rießen & Katja Jepkens (HSD) 

Im Panel 3 „Gesellschaftliche Teilhabe durch Ehrenamt – Institutionelle Bedingungen zur Schaffung von verlässlichen wie attraktiven Ehrenamtsstrukturen“ stellte Katja Jepkens erste Ergebnisse des Forschungsprojektes „Ehrenamt der Zukunft – Förderung der Selbstbestimmung und Teilhabe älterer Menschen im Stadtteil“ vor, bevor im zweiten Teil die interessierten Teilnehmenden die Begrenzungen und Barrieren ehrenamtlichen Engagements aus ihrer eigenen Praxis aufführten und diskutierten. 

Präsentation aus dem Panel 3


 

Panel 4 „Wie kann Digitalisierung zur Förderung von Selbstbestimmung und Teilhabe genutzt werden?“

Prof. Dr. Manuela Weidekamp-Maicher (HSD) & Prof. Dr. Manfred Wojciechowski (HSD)

Das vierte Panel mit dem Titel „Wie kann Digitalisierung zur Förderung von Selbstbestimmung und Teilhabe genutzt werden?“ befasste sich mit verschiedenen Technologien, die der Förderung von Teilhabe dienen können, sowie der Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen ihres Einsatzes inkl. der erforderlichen Rahmenbedingungen. Nach einem Impulsvortag von Prof. Dr. Manfred Wojciechowski hatten die Teilnehmer*innen die Gelegenheit über die Wichtigkeit verschiedener Technologien abzustimmen. Dabei zeigte sich eine recht große Zustimmung zu vielen der präsentierten technischen Lösungen. In der darauf folgenden Diskussion wurden verschiedene Aspekte des Themas hervorgehoben. Dazu gehörten u.a. die Voraussetzungen für digitale Teilhabe, wie etwa Vertrauen, Barrierefreiheit, Transparenz und die Notwendigkeit der Unterstützung bei digitaler Kommunikation. Diskutiert wurden auch die Folgen zunehmender Digitalisierung, insbesondere Risiken, die aus den Interessen zentraler Akteure auf dem Markt resultieren. Teilhabe wurde u.a. dann als gefährdet betrachtet, wenn Marktinteressen zur Beschneidung individueller Selbstbestimmung führen, wenn sich der mit Digitalisierung einhergehender Wandel der individuellen Kontrolle entzieht (weil Kompetenzen und Ressourcen zur dessen Gestaltung fehlen), wenn vermeintlicher Freiheitsgewinn durch Überwachung überlagert und Autonomie durch Fremdbestimmung untergraben werden. Darüber hinaus wurden Grenzen der Digitalisierung thematisiert, insbesondere am Beispiel des Einsatzes von KI: Hier zeigte sich, dass sie vor allem dort sichtbar werden, wo flexible Unterstützung, Beratung und andere an individuellen Bedarfen ausgerichtete Leistungen erforderlich sind, die sich einer Standardisierung grundsätzlich entziehen. 

Präsentation aus dem Panel 4


 

Abschlussplenum

Im Anschluss an die Panels wurden die Ergebnisse von Vertreter*innen der jeweiligen Panels – Helene Maqua (Diözesan Caritasveband), Doro Kuberski (Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung NRW e.V.) und Katja Jepkens sowie Prof. Dr. Manuela Weidekamp-Maicher (beide Hochschule Düsseldorf) – vorgestellt. Dabei gingen die vier Vertreter*innen insbesondere der Frage nach welche gemeinsamen zentralen Themen und Aspekte sich übergreifend finden und welche Handlungsbedarfe sich daraus konkret sowohl für die Wissenschaft als auch die Praxis ableiten lassen. Im Anschluss an die Darstellung gab es noch zahlreiche Rückmeldungen aus dem Publikum zu einzelnen Aspekten von Selbstbestimmung und​Teilhabe im Alter; insbeso​​​ndere zu der Umsetzung in der Praxis. ​Prof. Dr. Reinhold Knopp hob schließlich die Kompetenz der HSD und des FB SK zur weiteren Entwicklung der Thematik hervor und machte die Teilnehmer*innen auf die Möglichkeiten künftiger Kooperationen aufmerksam.