Selbstbestimmt teilhaben in Altenpflegeeinrichtungen.
Ein Musterrahmenkonzept (STAP)
Hintergrund
Angesichts des demografischen Wandels ist die Organisation „guter Sorge und Pflege“ im Alter eine der zentralen gesellschaftlichen Zukunftsaufgaben. Das Projekt STAP setzte den Akzent auf die stationäre Altenhilfe und Fragen der selbstbestimmten Teilhabe von Bewohner*innen in Pflegeeinrichtungen. Menschen mit Pflegebedarf sollen nicht nur qualitativ hochwertig medizinisch und pflegerisch versorgt werden, sondern ein würdiges und selbstbestimmtes Leben führen können, das eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weiterhin ermöglicht. Dazu verpflichten nicht zuletzt die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention. Auch in NRW ist dieses Anliegen bereits gesetzlich verankert. Wesentlicher Hintergrund des Projektes waren daher auch die Anforderungen des § 5 Wohn- und Teilhabegesetz Nordrhein-Westfalen (WTG NRW).
In der Praxis steht eine Umsetzung gesellschaftlicher Teilhabe im Rahmen stationärer Altenpflege-einrichtungen, die – nach dem Prinzip der Selbstbestimmung – auch die individuellen Wünsche der Bewohner*innen berücksichtigt, vor großen Herausforderungen. So wird der Umzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung von den Betroffenen häufig als Autonomieverlust wahrgenommen. Der Anspruch an eine fortgesetzte, an den individuellen Bedürfnissen und Gewohnheiten ausgerichtete gesellschaftliche Teilhabe wird daher von den Bewohner*innen und ihrem Umfeld vielfach gar nicht aufrechterhalten – und somit auch nicht eingefordert. Auch werden fehlende Ressourcen im Arbeitsalltag der stationären Altenhilfe angeführt, die Möglichkeiten einer individualisierten Teilhabeförderung von Bewohner*innen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen beschränken. Letztlich sind Teilhabe und Selbstbestimmung zwar viel genutzte Schlagwörter, aber ihre alltagspraktische Bedeutung und Umsetzung in der stationären Altenhilfe bleiben bislang diffus. Das macht auch die Überprüfung der darauf bezogenen Ergebnisqualität nahezu unmöglich.
Zur Umsetzung einer selbstbestimmten gesellschaftlichen Teilhabe fehlte es bislang an praxistauglichen Orientierungen für Einrichtungen der Altenhilfe. Diese wurden im vorliegenden Projekt in Form eines Musterrahmenkonzepts entwickelt und getestet.
Untersuchungsleitende Fragestellungen
Die leitende Fragestellungen des Projektes lauteten:
- Wie können Wünsche und Bedürfnisse von Bewohner*innen stationärer Pflegeeinrichtungen in Bezug auf gesellschaftliche Teilhabe innerhalb und außerhalb der Einrichtung festgestellt und berücksichtigt werden?
- Wie kann auf dieser Basis das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe dieser Bewohner*innen umgesetzt und überprüft werden?
Untersuchungsziel
Das übergeordnete Ziel des Projektes war die Erarbeitung eines Musterrahmenkonzeptes zur Förderung einer selbstbestimmten, gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe pflegebedürftiger Bewohner*innen von Altenpflegeeinrichtungen. Die Entwicklung des Musterrahmenkonzeptes erfolgte auf empirischer Grundlage mit folgenden Forschungszugängen.
Untersuchungsdesign und Projektphasen
Das Projektvorhaben wurde in den drei folgenden Arbeitsphasen in den Jahren 2017 bis 2019 durchgeführt.
Phase 1: Erforschung - Fördernde und hemmende Faktoren
Die empirischen Analysen wurden mit einem sequentiellen Mixed Methods-Design im Sinne des Verallgemeinerungsmodells nach Mayring (2001) umgesetzt, indem zunächst differenzierte qualitative Datenerhebungen zur Analyse des Ist-Standes und der Potenziale zur Teilhabeförderung in vier ausgewählten Einrichtungen des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln e.V. durchgeführt wurden. Im Anschluss daran wurden zentrale Ergebnisse der qualitativen Studie über eine trägerübergreifende standardisierte Befragung verallgemeinert und nach ihrer Relevanz bewertet.
- Qualitative Analyse: Ist-Stand und Potenziale (erstes und zweites Projektjahr)
- Jeweils zweiwöchige teilnehmende Beobachtungen sowie begleitende informelle Kurzgespräche mit Bewohner*innen (n=77) in vier, nach räumlicher Lage und Größe, ausgewählten Altenpflegeeinrichtungen des Diözesan-Caritasverbandes.
- Problemzentrierte Interviews mit acht Bewohner*innen und 12 Angehörigen sowie 28 Expert*inneninterviews mit Leitungskräften und Mitarbeitenden verschiedener Einrichtungsbereiche in den vier ausgewählten Projekteinrichtungen.
- Lern-Workshops (n=4) mit Leitungskräften in den Projekteinrichtungen zur Vorstellung und kommunikativen Validierung von Zwischenergebnissen.
- Zwei trägerübergreifende Fokusgruppen (n=11+5) zur Validierung und Ergänzung der in den Projekteinrichtungen gewonnenen Ergebnisse.
- Expert*inneninteninterviews (n=5) im Rahmen einer projektergänzenden Good-Practice-Analyse in bundesweit ausgewählten Einrichtungen verschiedener Träger mit besonderen Konzepten und Erfahrungen zur Förderung von Selbstbestimmug und Teilhabe.
Bis Herbst 2018 wurden die qualitativen Daten ausgewertet, um im Winter 2018 mit der quantitativen Analyse beginnen zu können.
- Quantitative Analyse: Verallgemeinerung des Ist-Zustandes und Bewertung der Relevanz (zweites bis drittes Projektjahr)
- Standardisierte Online-Befragung von Einrichtungsleitungen aus Altenpflegeeinrichtungen in freier, öffentlicher und privater Trägerschaft in Nordrhein-Westfalen (n=135).
Phase 2: Musterrahmenkonzept - Entwicklung, Erprobung und Implementationsanalyse
- Die zweite Projektphase widmete sich dem Musterrahmenkonzept, indem dieses auf Grundlage der empirischen Erkenntnisse entwickelt wurde. Es beinhaltet Kriterien sowie Erläuterungen und Beispiele zur Förderung selbstbestimmter Teilhabe in stationären Altenpflegeeinrichtungen und ermöglicht eine skalierte Feststellung von Handlungsbedarfen als Selbsteinschätzung.
- Das Musterahmenkonzept wurde in einer Einrichtung innerhalb von sechs Monaten erprobt sowie anschließend in Bezug auf dessen Akzeptanz, Angemessenheit und Machbarkeit im Rahmen einer Implementationsanalyse überprüft.
- In der Implementationsanalyse wurden fördernde und hemmende Faktoren beleuchtet, die sich sowohl auf die Implementierung des Musterrahmenkonzeptes als auch auf die kriteriengeleitete Auswahl und Durchführung von Maßnahmen der Teilhabeförderung auf Grundlage des Musterrahmenkonzeptes beziehen.
Phase 3: Transfer - Wissenschaft, Politik und Praxis
- Die Transferphase hat das Ziel, die Projektarbeiten und -ergebnisse der Öffentlichkeit, Fachpraxis und -politik sowie scientific community zu vermitteln. Die Transferaktivitäten in Bezug auf die empirischen Ergebnisse und das Musterrahmenkonzept wurden bereits im Projektverlauf begonnen und werden auch nach Projektende fortgeführt.
- Der Abschlussbericht wurde im Nomos-Verlag veröffentlicht und das Musterrahmenkonzept als nutzerfreundliche, bearbeitbare PDF-Version aufbereitet (jeweils abrufbar unter "Ergebnisse").
- Zur Einreichung bei relevanten Fachzeitschriften werden zurzeit mehrere Artikel vorbereitet.