Lehrforschungsprojekt
Der Herkunft begegnen -Habitus reflexives Studium und machtsensible Beratung
(WiSe 2012/13 - SoSe 2013)
Projektbeschreibung
Hintergrund
„Ich
gehörte irgendwie so nirgends hin“ (Hannelore Bublitz). Das Gefühl,
zwischen den Stühlen zu stehen, ist ein durchaus typisches für
Studierende, die nicht aus einem „bildungsnahen“ Milieu stammen. Sie
stehen zwischen der neuen Welt, die sie noch nicht recht aufnehmen mag
und ihrer alten Welt, die für ihre Entwicklungswünsche bisweilen wenig
Verständnis zeigt.
Unsere soziale Herkunft wird in ihrem Einfluss
oft unterschätzt. Das hat Folgen für den Umgang mit uns selbst und mit
anderen. Dies ist gerade für ein Studium, aber auch für die Soziale
Arbeit und deren Tätigkeitsbereiche bedeutsam, denn verschiedene soziale
Herkünfte treffen hier aufeinander. Dabei ist das spezielle Feld des
Studiums, nach bestimmten – vorwiegend bildungsbürgerlichen – Mustern
gestrickt und die Lehr- und Lernformen sind daran ausgerichtet.
Soziale
Herkunft und Ungleichheit werden oft wohlmeinend ignoriert oder nicht
als solche wahrgenommen, um nicht zu stigmatisieren oder
defizitorientiert zu agieren. Dabei zeigt sich umgekehrt, dass ein
Auseinandersetzen mit der eigenen Herkunft und mit den Konstellationen
der Umgebung überhaupt erst eine Ressourcen- und Subjektorientierung bei
sich selbst und später auch bei den Ratsuchenden möglich macht.
Das
Seminar ist als Lehrforschungsprojekt zu verstehen, das sich über zwei
Semester erstreckt. Im Wintersemester werden die Funktionsweisen
sozialer Ungleichheit erörtert sowie Diversity-Konzepte vorgestellt,
pädagogische Beratungsgrundlagen vermittelt und erprobt. Im
Sommersemester liegt dann der Fokus auf dem Ausprobieren, Erforschen und
dem Entwickeln eines Habitus sensiblen Studiums als Grundlage für
Beratung. Studierende sollen dabei als Beratende, als ihre eigenen
Klientinnen und Klienten sowie als Forschende angesprochen werden.
Es
besteht auch die Möglichkeit nur im ersten Semester teilzunehmen. Das
Seminar kann für die Schwerpunkte „Beratung“ und „Exklusion – Inklusion –
Diversity“ sowie für den A3-Bereich anerkannt werden. Die beiden
Teilseminare (im WS 2012/13 sowie im SS 2013) können für
unterschiedliche Fachgebiete (z.B. Soziologie und
Erziehungswissenschaft) angerechnet werden, so dass Studierende ohne
studientechnische Nachteile am gesamten Projekt mitwirken können, was
ausdrücklich erwünscht ist.
Ausgangslage / Hypothesen
- Die
Zusammensetzung der Studierendenschaft des Fachbereichs mit Blick auf
Herkunft, biographischen Standpunkt und Studienzugang mit den jeweiligen
Habitus herausarbeiten.
- Studierende für die eigene Herkunft
und die damit verknüpften Deutungs- und Handlungsmuster sensibilisieren
und die unterschiedlichen Lernbedürfnisse und -zugänge offenlegen.
- Die
Studierendenschaft der Sozial- und Kulturwissenschaften ist äußerst
heterogen: u. a. sind die Herkunftsmilieus, die Zugangswege ins Studium
und die biographischen Standpunkte sehr unterschiedlich, so dass auch
von differenten Lernzugängen ausgegangen werden muss.
- Studienstrukturen
- nicht zuletzt die verschiedenen Habitus der Lehrenden - erzeugen
Lernzusammenhänge, die vor allem eigenständig lernenden, selbst
organisierten und selbstbewussten Studierenden übervorteilen.
- Die
Aufnahme eines Studiums stellt einen neuen Lebensabschnitt dar und
fordert jede/jeden Studierenden heraus. Gleichwohl erleben besonders
Studierende aus bildungsfernen Milieus oder sogenannte
non-traditional-students Spannungen, die sich auf der Gefühlsebene in
Form von Scham, Unsicherheit bis hin zu Versagensängsten ausdrücken
können. Dies lässt sich oft auf Habitus-Struktur-Konflikte zurückführen,
also Konflikte zwischen verinnerlichten kulturellen Mustern und
Elementen des akademischen Feldes bzw. der Studienumgebung.
- Die
Analyse von Habitus-Struktur-Konstellationen bietet die Möglichkeit,
sich selbst und andere besser zu verstehen (auch im Sinne von Empathie).
- Beratung
als Querschnittsmethode in der sozialen Arbeit ist immer wieder mit den
Folgen sozialer Benachteiligung und symbolischer Gewaltverhältnissen
konfrontiert. Zukünftige Berater müssen eine Sensibilität für die
unbewussten, alltäglich wirkenden Handlungsbegrenzungen entwickeln, die
Folge eines Zusammenspiels von individuellen Entscheidungen und
gegebenen Strukturen sind. Damit lassen sich vorschnelle
Individualisierungen von Problemen verhindern.
- Selbstreflexivität
bildet im qualitativen Forschungskontext und in der Beratung eine
wichtige Arbeitsgrundlage, um die eigenen Verwicklungen in der Beziehung
weitestgehend kontrollieren zu können. Diese Fähigkeit muss immer neu
eingesetzt werden, um die unbewusst wirksamen Machtmechanismen in einer
sich wandelnden Welt zu erkennen.
Ziele
- Selbstreflexivität als wichtige Haltung und Methoden zur Identifikation von Machtstrukturen in der Beratung vermitteln.
- Sozioanalyse
als Perspektive zum besseren Verständnis von (eigenen)
Habitus-Struktur-Konstellationen zur Verfügung stellen und für die
Beratung fruchtbar machen.
- Erforschung fördernder und behindernder Studienstrukturen und Rückkopplung der Ergebnisse an den Fachbereich.
- Viele Studierende erreichen, indem Seminare in der Studieneingangsphase und der Schwerpunktphase verknüpft angeboten werden.
- Im
Fachbereich den Nutzen von Habitus-Struktur-Analysen diskutieren, zum
einen auf der konkreten Ebene eines Studiums im Fachbereich Sozial- und
Kulturwissenschaften, zum anderen im Feld von Beratung und Supervision.
- Beratung
als Querschnittsmethode sozialer Arbeit durch das Instrument der
Habitusanalyse bereichern und zukünftige AbsolventInnen mit dieser
ausdrücklich reflexiven, anwaltlichen und aufklärenden Haltung vertraut
machen.
Arbeits- und Forschungsmethoden
- theoretische Einführung
- Analyse der eigenen Herkunft und Raumpositionierung
- Gruppendiskussionen und Beratungsgespräche durchführen
- Interviews mit Lehrenden führen
- Vorlesungsverzeichnisse und Infomaterialien analysieren
- Auswertung von Daten im Hinblick auf habituelle Aspekte
- Handlungsempfehlungen erarbeiten