Diskriminierende Angriffe und offensive Abwehr –
Eine Geschichte der Selbstorganisierung „Neue Damengemeinschaft“ und ihrer selbstbewussten Akteurinnen* in Berlin um 1900
Das Projekt
An der Hochschule Düsseldorf startete zum 1.10. das Mikroforschungsprojekt „Diskriminierende Angriffe und offensive Abwehr – Eine Geschichte der Selbstorganisierung ‚Neue Damengemeinschaft’ und ihrer selbstbewussten Akteurinnen* in Berlin um 1900“.
Formen von subkultureller Vergemeinschaftung von LSBTI* werden klassischerweise mit der Blütezeit urbaner Subkultur in der Weimarer Republik in Verbindung gebracht. Das organisations- und diskriminierungshistoriographische sowie frauen*biographische Projekt setzt demgegenüber viel früher an und widmet sich einer Initiative von Lesben* um 1900 in Berlin: Die „Neue Damengemeinschaft“ stellt – neben dem 1905 gegründeten Klub „Goldene Kugel“ – die zweite bislang bekannte und möglicherweise auch weltweit eine der frühesten Selbstorganisierungen von Lesben* im deutschen Kaiserreich dar. 1908 initiiert, bestand die Initiative über mindestens fünf Jahre – trotz des immensen medialen, polizeilichen und justiziellen Drucks.
Ziel des Projekts ist die historische Rekonstruktion und Analyse der Lesben-Selbstorganisierung „Neue Damengemeinschaft“ in Berlin als Form von Vergemeinschaftung von lesbisch lebenden Frauen* vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Diskriminierung. Dabei werden auch die mit der Gruppierung in Zusammenhang stehende mediale Berichterstattung, das (Straf-)Prozessgeschehen in Berlin und die Reaktion der Betroffenen in Quellen aus staatlichen Archiven erschlossen und kritisch analysiert.
Mit dem Forschungsprojekt wird ein Beitrag zur Historiographie marginalisierter Subjekte und zur Organisierungsgeschichte in Deutschland am Beispiel lesbischer Subkultur geleistet. Des Weiteren wird historiographisch interpersonale, institutionelle und strukturelle (mehrdimensionale bzw. intersektionale) Diskriminierungsgeschichte unter nicht-demokratischen Bedingungen des deutschen Kaiserreichs sowie sich selbstbehauptende Gegenwehr von lesbischen Frauen* analysiert.
Innerhalb des Zusammenschlusses „Neue Damengemeinschaft“ lassen sich neue lesbische bzw. queere Persönlichkeiten sichtbar machen. Dies ermöglicht weitere biographische Forschung auf der Grundlage der rekonstruierten Kurzporträts und überdies werden neue geschichtspolitische sowie erinnerungskulturelle Anknüpfungspunkte erwartet.
Die drei zentralen Fragen des Projekts fokussieren die Selbstorganisierung als Form der Vergemeinschaftung, deren Akteurinnen* und die medialen sowie staatlichen Reaktionen seitens Polizei und Justiz auf die Selbstorganisierung und darüber hinaus den Umgang der Beteiligten mit diesen Reaktionen sowie die Selbstverteidigungskämpfe lesbischer Subjekte.
Vorausgegangenes Forschungsprojekt
Das Forschungsvorhaben „Diskriminierende Angriffe und offensive Abwehr“ steht, gleichwohl mit anderem zeitlichen Fokus, im selben thematischen Kontext wie die vorherige (werk-)biographische Studie „Neue Spuren zu Leben und Wirken der Berliner Subkultur-Aktivistin* Lotte Hahm (1880-1967) und ihres persönlichen Umfelds“. Das Mikro-Forschungsprojekt wurde von der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung gefördert (10/2018-12/2018).
Projektbeteiligte
Prof. Dr. Christiane Leidinger (Projektleitung), Hochschule Düsseldorf und Ingeborg Boxhammer, M.A., Historikerin (freie wissenschaftliche Mitarbeit), Bonn.
Publikationen
Im Erscheinen (2020 & 2021):
Leidinger, Christiane/Boxhammer, Ingeborg:
Offensiv – strategisch – (frauen-)emanzipiert: Spuren der Berliner Subkulturaktivistin* Lotte Hahm (1890–1967). In: GENDER. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 1/2/2021 (i.E., accepted 28.5.2020).
Leidinger, Christiane/Boxhammer, Ingeborg:
„... werde ich dafür sorgen, daß sich alle Freundinnen wohlfühlen“ – die Subkulturaktivistin Lotte Hahm (1890–1967). Online: Digitales Deutsches Frauenarchiv (DDF) 2020 (i.E.). LINK
Erschienen (2019 & 2020):
Boxhammer, Ingeborg/Leidinger, Christiane:
Lotte Hahm (1890-1967). Die Berliner Subkulturaktivistin* aus Dresden. In: Franke, Karin/Siegert, Andrea (Hrsg.): Geschichte und Gegenwart der Lesben, Schwulen und Trans*Menschen in Dresden von 1900 bis 2020. Dresden: Sowieso. Frauen für Frauen e. V., 2020, S. 55-60.
Boxhammer, Ingeborg/Leidinger, Christiane:
Listen zu Texten und Abbildungen von Lotte Hahm. Online: Portal Lesbengeschichte. URL: https://www.lesbengeschichte.org/material_hahm_d.html.
Abbildungen von Lotte Hahm. Online: Portal Lesbengeschichte. LINK
Boxhammer, Ingeborg/Leidinger, Christiane:
Die Szenegröße und Aktivistin Lotte Hahm (1890-1967). In: Hindemith, Stella/Leidinger, Christiane/Radvan, Heike/Roßhart, Julia (Hrsg.) für Lola für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern e. V.: Wir* hier! Lesbisch, schwul und trans* zwischen Hiddensee und Ludwigslust. Ein Lesebuch zu Geschichte, Gegenwart & Region. Berlin: Amadeu Antonio Stiftung/LOLA für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern 2019, S. 57f.
Online-Version, pdf zum Download, LINK
Hindemith, Stella/Roßhart, Julia/Leidinger, Christiane/Radvan, Heike:
Wir* hier! Auf den Spuren regionaler Geschichte und Gegenwart von LST* – eine Einleitung. In: Hindemith, Stella/Leidinger, Christiane/Roßhart, Julia/Radvan, Heike für LOLA für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern e.V. (Hrsg.): Wir* hier! Lesbisch, schwul und trans* zwischen Hiddensee und Ludwigslust. Ein Lesebuch zu Geschichte, Gegenwart & Region. Berlin: Amadeu Antonio Stiftung/LOLA für Demokratie in Mecklenburg Vorpommern e. V. 2019, S. 9-16.
Online-Version, pdf zum Download, LINK
Boxhammer, Ingeborg/Leidinger, Christiane:
It-Girls der 20er Jahre. Lotte Hahm (1890-1967) und Käthe Fleischmann(1899-1967) betrieben Lesbenbars, initiierten Vereine und brachten Lesben und „Transvestiten“ zusammen, bis die Nazis sie stoppten. In: L.Mag. Das Magazin für Lesben März/April 2019, S. 44f.
Veranstaltungen
Lotte Hahm (1890-1967) im aquarium: Leben, Aktivitäten und Umfeld der Berliner Subkulturaktivistin*.
Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit Ingeborg Boxhammer (Bonn) und Christiane Leidinger (Düsseldorf/Berlin) am 14.12.2018 im aquarium in Berlin-Kreuzberg, in Kooperation mit narrativ e. V. und der Landesantidiskriminierungsstelle des Berliner Senats.