Wissenschaftlicher Austausch zwischen Vertretern verschiedener Fachrichtungen
Vom 04. Bis 5. Dezember 2015 fand an der Hochschule Düsseldorf die Fachtagung „Legal Proceedings against Right-Wing Terrorism - Perspectives from Political Sociology and the Sociology of Law” statt. Hintergrund der von der Sektion Politische Soziologie in der DGS und dem Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/
Neonazismus der Hochschule Düsseldorf getragenen Tagung war die Feststellung, dass es trotz medialer und gesellschaftlicher Aufmerksamkeit für entsprechende Strafverfahren kaum Forschung zu ihnen gibt.
In der Eröffnung betonte Fabian Virchow als Leiter von FORENA unter anderem, dass die interdisziplinäre Aufstellung der Fachtagung – mit Vertretern aus der Soziologie, der Politikwissenschaft, den Geschichtswissenschaften und dem Rechtswesen – eine Stärke sein könne, wenn es darum gehe, die gesellschaftliche Bedeutung dieser Strafprozesse theoretisch und empirisch in den Blick zu nehmen.
Beatrice de Graaf (Utrecht) stellte ihren performativitätstheoretisch geschulten Zugriff auf Gerichtsverfahren gegen des Terrorismus Verdächtigte vor und hob die dynamische Struktur und das interaktive Handeln in den Gerichtssälen hervor. Dabei sei von besonderer Bedeutung, dass es sich dort um den einzigen Moment handele, in dem sich alle Akteure begegnen. Das Verfahren werde zur Bühne, auf welcher die involvierten Akteure verschiedene Strategien einsetzen, um ihre jeweilige Zielgruppe innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals von ihrer Version von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit zu überzeugen. Schließlich trügen sie auch zum kollektiven Gedächtnis und Verständnis der Wertvorstellungen bei, die in einer Gesellschaft als gültig angesehen würden. Zugleich ließen sich empirisch auch Verfahren finden, die aufgrund der spezifischen Art ihrer Durchführung zu weiterer Radikalisierung beigetragen hätten.
Maik Fielitz (Frankfurt) beschäftigte sich in dem von ihm vorgestellten Konferenzpapier mit den Aussichten und Fallstricken des Gerichtsverfahrens gegen die griechische neonazistische Partei ›Golden Dawn‹. 2013 wurden der Parteivorsitzende Michaloliakos sowie mehrere weitere Mitglieder der Parteiführung unter dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung festgenommen. Da das griechische Parteienrecht die Möglichkeit eines Verbots nicht vorsieht, galt die Kriminalisierung als einzige, jedoch heikle Möglichkeit, der an Gewalttaten beteiligten Partei mit juristischen Mitteln zu begegnen. Der Ausschluss der Öffentlichkeit für Teilöffentlichkeiten sei dabei ein problematisches Mittel der Kontrolle des Ablaufs der Verfahren.
Tore Bjørgo (Oslo) gab einen Einblick in das Gerichtsverfahren gegen Anders Breivik und fokussierte dabei auf die Bedeutung von psychiatrischen Gutachten und den Umgang der verschiedenen Beteiligten mit ihnen. Aufgrund des vollständigen Geständnisses des Täters beschäftigte sich das Gerichtsverfahren stark mit der Frage der Schuldfähigkeit. Ein erstes Gutachten, dass eine geistige Erkrankung diagnostiziert hatte, hätte die Möglichkeit seiner Freilassung nach 5 Jahren Unterbringung in einer Einrichtung der psychiatrischen Gesundheitsfürsorge denkbar gemacht – eine auch in Norwegen unakzeptable Vorstellung. Erst mit einem weiteren Gutachten wurde Breiviks volle Schuldfähigkeit festgestellt. Breivik hatte die erste Diagnose als starke Erniedrigung interpretiert und sein Verhalten daraufhin geändert. Die Staatsanwaltschaft hielt dennoch über einen längeren Zeitraum an den Ergebnissen des ersten Gutachtens fest.
Galadriel Ravelli (Bath) stellte die Machtbeziehung zwischen nationalen und internationalen Akteuren im Fall des Mordversuchs an dem chilenischen Christdemokraten Bernardo Leighton dar. Leighton hatte Chile nach dem Putsch gegen Allende verlassen und wurde im Exil in Rom Opfer eines Anschlags seitens italienischer Faschisten. Ravelli arbeitete verschiedene strukturelle Dimensionen des Falles heraus, etwa die Beteiligung von Geheimdiensten sowie das langjährige Scheitern einer angemessenen juristischen Aufarbeitung aufgrund mangelnder transnationaler Kooperation der Justizbehörden in Italien, den USA und Chile.
Als Abschluss des ersten Tages wurde in einem Kulturzentrum in Anwesenheit der Regisseurin Eszter Hajdú der Dokumentarfilm „Judgement in Hungary“ gezeigt. Der Film begleitet den Prozess gegen vier Männer, die aufgrund rassistisch motivierter Anschläge auf die Roma-Bevölkerung angeklagt waren. Im anschließenden Gespräch mit der Regisseurin wurden Fragen nach der Rolle des Richters, dem Setting des Gerichtssaals sowie der aktuellen Migrationspolitik Ungarns diskutiert.
Matthew Feldman (Teesside) eröffnete vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Gutachter in Terrorismusstrafverfahren den zweiten Tag der Veranstaltung mit Überlegungen zu den Auswirkungen des Konsums neonazistischer Texte auf die Bereitschaft zur Durchführung von schweren Gewalttaten. Basierend auf den Erkenntnissen der Forschung zu „Lone Wolf“-Terroristen, die ohne direkten Einfluss einer Führungsperson oder im Rahmen einer Organisationshierarchie handeln, stellte Feldman die beiden Fälle von Neil Lewington und Ian Davison (beide UK) exemplarisch vor und diskutierte die Wechselwirkung zwischen Internetnutzung, biografischen Erfahrungen und sozialen Kontakträumen.
Marc Schwietring (Göttingen) stellte mit Blick auf den in München seit Mai 2013 stattfindenden NSU-Prozess Überlegungen zu einem Forschungsprojekt vor, das die Rolle der Nebenkläger*innen in stark von der Öffentlichkeit beachteten Strafverfahren beleuchtet und deren Möglichkeiten zur Einflussnahme und zur Aufklärung untersucht..
Joost van Spanje (Amsterdam) präsentierte ein unter dem Titel „Defending or damaging democracy?“ stehendes Forschungsprogramm, das in international vergleichender Perspektive der Frage nachgeht, welche Auswirkungen strafrechtliche Maßnahmen gegen extrem rechte Parteien beziehungsweise deren Führungspersonal auf deren Erfolgsaussichten bei Wahlen haben. Zudem wird untersucht, inwiefern entsprechende Gerichtsverfahren als Verteidigung oder aber Schädigung von Demokratie erfahren werden.
Im Mittelpunkt des Beitrages von Badrinath Rao (Flint) stand der erstarkende hinduistisch geprägte Nationalismus in Indien, damit verbundenes rechtsextremes terroristisches Handeln und eine staatliche Praxis, die islamistische Gewalt signifikant stärker sanktioniert als hindu-nationalistischen Terrorismus.
Zum Abschluss der Fachtagung riefen Massimiliano Livi (Münster) und Hartmut Aden (Berlin) einige der diskutierten, aber auch der weiterhin zu untersuchenden Fragen in Erinnerung: Ist die Performance der jeweiligen Akteure in Gerichtsverfahren zu terroristischen Attentaten wichtiger als die begangene Straftat, welche verhandelt wird? Zumindest Täter*innen scheinen sich über den performativen Aspekt innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals bewusst zu sein und nutzen den Prozess häufig als letzten kommunikativen Akt. Wie lässt sich die Rolle der Nachrichtendienste hinsichtlich rechtsterroristischer Gewalt und Strukturen jenseits von Verschwörungstheorien einerseits und Bagatellisierung oder Leugnung andererseits angemessen verstehen? Welcher Stellenwert haben Transparenz und Öffentlichkeit in Strafverfahren hinsichtlich der ‚Herstellung von Gerechtigkeit‘? Von welchen Faktoren wird die Art der Prozessführung der Richter*innen in solchen Strafprozessen bestimmt? Welcher Stellenwert kommt politischen Überzeugungen, professionellem Selbstverständnis, der Verhinderung des Gebrauchs des Strafprozesses zu propagandistischen Zwecken zu?
Insgesamt stieß die Fachtagung bei allen Teilnehmenden neue Fragen an und ermöglichte den wissenschaftlichen Austausch mit einer Vielzahl von Aspekten der Thematik. Eine Veröffentlichung ausgewählter Beiträge ist denkbar.